Sex im Alter trainiert das Gehirn – echt?

Gesunde Ernährung, Gehirnjogging-Übungen und ausreichende Bewegung habe ich schon mehrfach als gute Gehirn- und Gedächtnistrainer vorgestellt. Aber auch regelmäßiger Sex in der zweiten Lebenshälfte soll laut einer britischen Studie die Gehirnfunktion ankurbeln. Die Arbeit von Wissenschaftlern der Universitäten Oxford und Coventry geistert seit einiger Zeit durch die Medien. Und das Thema ist einfach zu „sexy“, das musste ich auch aufgreifen. Was ist also dran? In der Studie, die im Fachblatt für Altersforschung The Journals of Gerontology veröffentlicht wurde, befragten Wissenschaftler 28 Männer und 45 Frauen im Alter zwischen 50 und 83 Jahren, ob sie in den letzten 12 Monaten wöchentlich, monatlich oder nie Sex hatten. Dann wurden die Teilnehmer standardisierten Tests unterzogen, mit denen man üblicherweise verschiedene Parameter kognitiver Leistungsfähigkeit bei älteren Erwachsenen untersucht, nämlich Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Sprachflüssigkeit und die visuelle Raumvorstellung. Im Test der Sprachflüssigkeit mussten die Teilnehmer zum Beispiel innerhalb 60 Sekunden so viele Tiere wie möglich nennen und dann so viele Wörter wie möglich, die mit F beginnen.

Bessere Sprachkompetenz bei regelmäßigem Sex

Diejenigen, die mindestens einmal pro Woche Sex hatten, schnitten bei einigen diesen Tests besser ab. Sie hatten vor allem eine höhere Sprachkompetenz als die sexuell inaktiven Teilnehmer. Auch konnten die Aktiveren besser ein komplexes Bild abmalen und aus dem Gedächtnis ein Ziffernblatt nachzeichnen. Auf Gedächtnis und Aufmerksamkeit hatte die sexuelle Aktivität aber anscheinend keinen Einfluss. “Es ist möglich, dass eine größere Häufigkeit sexueller Aktivität mit besseren kognitiven Fähigkeiten zusammenhängt”, erklärt die Leiterin des Forscherteams Hayley Wright. Die Forscher wollen nun die biologische Ursache des von ihnen gefundenen Zusammenhangs ergründen. So wollen sie herausfinden, ob Hormone wie Dopamin und Oxytocin, die während des Geschlechtsakts ausgeschüttet werden, sich irgendwie auf die Gehirnfunktion auswirken.

Mein Fazit

Ich habe Ihnen diese Studie vorgestellt, weil Sie sicher schon darüber gelesen haben oder noch lesen werden. Ich selbst halte die Arbeit zwar für interessant, aber nicht ausreichend schlüssig. Erstens ist die Zahl von 83 Studien-Teilnehmern doch sehr gering. Außerdem sollte man die Altersspanne (50–83) nicht ganz so weit streuen. Zweitens halte ich die Methode zur Bestimmung der Sex-Häufigkeit allein durch Fragebogen für zu fehleranfällig. Aus verschiedenen Gründen wird so mancher Studienteilnehmer bei dieser Frage wohl eher unter- oder übertreiben – zumindest nicht unbedingt die Wahrheit sagen. Und drittens beweist die Studie meiner Meinung nach überhaupt nicht, was Ursache und was Wirkung ist. Führt tatsächlich regelmäßiger Sex zu mehr Sprachflüssigkeit, wie die Autoren schlussfolgern? Oder hat im Gegenteil jemand, der sprachlich gewandter ist, in der Folge auch regelmäßiger Sex? Oder sind die Häufigkeit von Sex und die Sprachflüssigkeit zwei voneinander unabhängige Faktoren, die von einem dritten Faktor verursacht werden, zum Beispiel einem erfüllten Sozial- oder Eheleben, körperlicher Gesundheit usw.? Ich gehe davon aus, dass den Wissenschaftlern diese Probleme auch bewusst sind und deswegen noch umfangreichere Studien folgen werden. Bis dahin halte ich die Aussage: „Sex ist gut fürs Gehirn“ zwar für wahrscheinlich, aber noch nicht für ausreichend belegt. Andererseits, wenn schon nicht fürs Gehirn, ist Sex sicher für andere Sachen gut.

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